Boundary Scan: Wie man ein Standardverfahren gezielt erweitert
Boundary Scan: Wie man ein Standardverfahren gezielt erweitert
Einen „Dienst nach Vorschrift“ kann es beim Test von elektronischen Baugruppen nicht geben. Stattdessen kommt es auf passgenaue Lösungen an – zum Beispiel mit Blick auf die Funktionalität oder das Einsatzgebiet einer Baugruppe. Wie individuelle Test-Lösungen aussehen, zeigt Kraus Hardware mit einem aktuellen Beispiel aus dem Bereich „Boundary Scan“: Durch das Einbinden von verschiedenen Standardmessgeräten lässt sich das Verfahren in neuen Anwendungsbereichen einsetzen.
Ein Test von elektronischen Baugruppen ist in vielen Anwendungsbereichen unverzichtbar. Letztlich geht es hier um eine umfassende Qualitätssicherung, die zum Beispiel dafür sorgt, dass ein neu entwickeltes Produkt schneller auf den Markt kommt oder in der laufenden Produktion keine Fehler auftreten. Allerdings ist das Ganze eine Angelegenheit für Experten. Das gilt alleine schon deshalb, weil es sehr viele optische und elektrische Testverfahren gibt. Mit Blick auf die Prüfstrategie sind zudem zwei Dinge wichtig: Sie sollte schon bei der Entwicklung berücksichtigt, dabei ihre Funktion überprüft und Schwachstellen behoben werden.
Breites Test-Know-how entscheidend
Welches Verfahren das richtige ist und konkret zum Einsatz kommen sollte, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Hier geht es zum Beispiel um Stückzahlen, Umwelteinflüsse oder die Bauweise der Baugruppe. „Das Testlabor muss einerseits technisch breit aufgestellt sein und zu den Testverfahren beraten können. Andererseits sollte es die Anwendungsgebiete gut kennen. Wir haben unser Test-Know-how in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut und arbeiten gleichzeitig daran, die Möglichkeiten der Verfahren zu weitern“, erklärt Benjamin Ruß, Hardware-Entwickler bei Kraus. „Der Kunde bekommt im Vorfeld eine umfassende Beratung.“
Wie man sich das konkret vorstellen kann, zeigt das Beispiel „Boundary Scan“ – ein standardisiertes elektronisches Verfahren zum Testen digitaler und analoger Bausteine in der Elektronik. Einfach gesagt geht es dabei um ein serielles Schieberegister, mit dem es möglich ist, auf bestimmte Punkte einer Schaltung zuzugreifen und komplette Funktionsabläufe nachzubilden. Allerdings gilt wie bei allen Testverfahren: Es gibt Grenzen bei der Testabdeckung. Grundsätzlich muss mindestens ein Baustein auf der Baugruppe Boundary-Scan-fähig sein. Dieser spricht dann die anderen Chips an.
Baugruppen mit geringen Versorgungsspannungen im Fokus
Da der Boundary-Scan-Test in der Regel der Zeitpunkt ist, an der die Baugruppe das erste Mal „Spannung sieht“, nutzt Kraus Hardware dieses Verfahren für eine Kurzinbetriebnahme. Hierbei messen Experten unter anderem die Einschaltströme – und trennen das Ganze im Fehlerfall schnell wieder von der Versorgungsspannung. Bestimmte Anwendungsfälle stellen aber eine besondere Herausforderung dar. Das gilt zum Beispiel für Baugruppen mit geringen Versorgungsspannungen. Hier wird der Spannungsfall am Mulitmeter über den internen Mess-Shunt zu hoch. Das ist für den Prüfaufbau nicht tolerierbar.
„Diesen Anwendungsfall haben wir uns gezielt vorgenommen und eine Lösung entwickelt“, so Ruß. „Dabei binden wir Standardmessgeräte wie Multimeter und Oszilloskope zusammen mit einer Strommesszange in den Boundary-Scan-Prüfablauf ein. Auf diese Weise können wir einerseits die Funktion der Baugruppe überprüfen, andererseits die tatsächliche Stromaufnahme protokollieren und alle interessanten Parameter auslesen. Dies ein gutes Beispiel dafür, wie wir bestehende Testroutinen an projektspezifische Anforderungen anpassen. “
Geschwindigkeit lässt sich erhöhen
Eine ganze Reihe von neuen Anwendungsfällen lässt sich auf diese Weise in den Boundary Scan-Prüfprozess integrieren. Dazu gehören etwa das Messen von Frequenzen an Oszillatoren, die Messung der Welligkeit von Betriebsspannungen, das Erfassen von Max-Min-Werten, die Vorkalibrierung von Baugruppen und vieles mehr.
Grundsätzlich ist es übrigens auch möglich, die Geschwindigkeit des Testverfahrens zu erhöhen – zum Beispiel per spezifischen IP-Cores, die auf interne Strukturen von Prozessoren und FPGAs zugreifen. Außerdem lassen sich die Programmierprozesse von internen und externen Speichern signifikant beschleunigen. „Wir passen dieses Testverfahren individuell an viele kundenspezifische Anforderungen an und erweitern es“, erklärt Ruß zusammenfassend. „So schaffen wir für die jeweilige Applikation eine große Testabdeckung bei geringer Durchlaufzeit.“
Boundary Scan bei Kraus Hardware
In diesen Bereichen kommt das Verfahren bei Kraus Hardware zum Einsatz:
- Erstinbetriebnahme der produzierten Baugruppen
- elektrischer Verbindungstest von Boundary-Scan-fähigen ICs im unprogrammierten Zustand
- Lesen und Schreiben von Bausteininformationen (z.B. Auslesen der Chip-ID und Hersteller Codes etc., Schreiben von Grundparametern in I²C EEProm)
- Programmierung von Flash- und PROM- Bausteinen
- Abfrage der Versorgungsspannung und der Stromaufnahme im Einschaltmoment
- Protokollierung der durchgeführten Testschritte und deren Parameter sowie Übernahme der Daten in die Kraus-Datenbank (Traceability)
- Abfrage von elektromechanischen Komponenten wie Schalter, LEDs o.Ä. durch Benutzerinteraktion
- schnelle Fehleranalyse bei Reparaturen
Benjamin Russ, Hardware Entwickler bei Kraus, setzt beim Boundary-Scan-Prozess auch auf Standardmessgeräte wie Multimeter und Oszilloskope.